Gut gemeint – schlecht geführt? Wenn Fürsorge Konflikte schafft.

Führung in sozialen Organisationen hat oft einen besonderen Anspruch: Wertschätzung, Empathie und Fürsorge stehen im Vordergrund. Das klingt nach einem Idealbild – und ist auch ein wichtiger Teil gelingender Zusammenarbeit. Doch was passiert, wenn Fürsorge und Flexibilität so stark betont werden, dass sie Strukturen und Verbindlichkeit verdrängen?

Ein Praxisbeispiel zeigt die Kehrseite.


Ein Team zwischen Freiheit und Chaos

In einer sozialen Einrichtung wollte die Leitung ein Zeichen setzen: Jedes Teammitglied sollte seine Arbeitszeit nach individuellen Bedürfnissen gestalten können. Ob frühe Schicht, spätes Kommen oder spontane Abwesenheiten – alles war möglich.

Die Führungskraft selbst sprang ein, wenn Lücken entstanden. Sie übernahm Aufgaben, verschob Termine und organisierte Abläufe so, dass niemand im Team Nachteile spürte.

Anfangs wirkte das Modell wie ein voller Erfolg:

  • Die Mitarbeitenden fühlten sich gesehen und wertgeschätzt.
  • Die Stimmung im Team war hervorragend.
  • Die Leitung galt als fürsorglich und unterstützend.

Doch nach einigen Monaten traten immer mehr Probleme auf:

  • Kommunikation stockte. Durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten gab es kaum noch Überschneidungen im Team. Spontane Gespräche wurden selten, wichtige Informationen gingen verloren.
  • Abstimmungen wurden mühsam. Für jede Kleinigkeit musste ein Termin gefunden werden, oft mit großem organisatorischem Aufwand.
  • Zuständigkeiten verschwammen. Weil Verantwortlichkeiten nicht mehr klar abgesprochen waren, kam es zu Missverständnissen und Doppelarbeit.
  • Die Führungskraft war überlastet. Statt Freiraum für Führung zu haben, verbrachte sie ihre Energie damit, Lücken zu füllen und Krisen im Hintergrund zu managen.

Das Ergebnis: Aus dem gut gemeinten Modell der Fürsorge wurde ein Nährboden für Konflikte, Ineffizienz und Frustration.


Wenn Harmonie Klarheit ersetzt

Dieses Beispiel macht deutlich: Gerade in wertschätzenden Arbeitskulturen besteht eine besondere Gefahr. Das Streben nach Harmonie kann dazu führen, dass unangenehme Gespräche vermieden werden – mit fatalen Folgen.

  • Harmonie statt Klartext: Spannungen oder Überlastungen werden nicht offen benannt, um das gute Miteinander nicht zu gefährden.
  • Flexibilität ohne Verlässlichkeit: Wenn jeder nur auf die eigenen Bedürfnisse schaut, bleibt die Teamstruktur auf der Strecke.
  • Wohlwollen ohne Führung: Rücksichtnahme ersetzt keine klaren Entscheidungen und keine verbindlichen Regeln.

Am Ende bedeutet das: Was zunächst wie Fürsorge wirkt, führt paradoxerweise zu genau dem Gegenteil – zu Belastung, Unzufriedenheit und Konflikten.


Die Rolle der Führung

Gute Führung zeigt sich nicht darin, es allen recht zu machen. Sie zeigt sich darin, einen klaren Rahmen zu schaffen, in dem Freiheit, Wertschätzung und Zusammenarbeit miteinander vereinbar sind.

Das bedeutet konkret:

  • Strukturen setzen: Klare Absprachen zu Arbeitszeiten, Zuständigkeiten und Kommunikationswegen schaffen Sicherheit.
  • Erreichbarkeit sicherstellen: Überschneidungen im Team sollten bewusst geplant werden – auch wenn das bedeutet, dass nicht alle individuellen Wünsche erfüllt werden können.
  • Konflikte ansprechen: Psychologische Sicherheit entsteht nicht dadurch, dass Spannungen vermieden werden, sondern dadurch, dass man sie respektvoll und lösungsorientiert anspricht.
  • Fokus behalten: Führungskräfte müssen nicht alle Lücken schließen – sie sind dafür da, den Rahmen zu gestalten, in dem das Team Verantwortung übernehmen kann.

Die Lehre

Fürsorge ist wertvoll. Aber Fürsorge ohne Führung kann ein Team schwächen, statt es zu stärken. Die Balance zwischen Empathie und Klarheit ist entscheidend:

  • Ja, Mitarbeitende sollen sich gesehen und respektiert fühlen.
  • Aber sie brauchen ebenso klare Regeln, Strukturen und Verbindlichkeit, um gut zusammenzuarbeiten.

Echte Fürsorge bedeutet nicht, alle Wünsche zu erfüllen. Echte Fürsorge bedeutet, Bedingungen zu schaffen, die langfristig gesundes und produktives Arbeiten ermöglichen.


👉 Wie ist deine Erfahrung?
Hast du schon Situationen erlebt, in denen gute Absichten am Ende mehr Konflikte als Lösungen geschaffen haben?
Ich freue mich auf Austausch und Diskussion in den Kommentaren.

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